Großangriff auf die UNO: Die Säule der Schande
geschrieben am 12. Mai 2010 von Spiegelfechter
ein Gastbeitrag von Philipp Ruch
Seit zwei Jahren fordern die „Mütter von Srebrenica“ (über 6.000 Hinterbliebene) eine „Stub Srama“ – eine Säule der Schande – für das, was die Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina angerichtet haben. Am 13. Mai 2010 ist es soweit: ein Bündnis deutscher Menschenrechtler unter der Leitung von Philipp Ruch („Zentrum für Politische Schönheit“) und Deutschlands zweitgrößter Menschenrechtsorganisation, der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), reicht den Müttern von Srebrenica die Hand und startet einen beispiellosen Großangriff auf die UNO: Projektvorstellung einer 8,372 Meter hohen Skulptur, die als Metapher für den gigantischen Verrat der UNO an Bosnien stehen soll und sich als „Mahnung für alle zukünftigen UNO-Mitarbeiter“ versteht, im Falle von Genozid nicht tatenlos zu bleiben.
Die ungeheuren Ausmaße der Schuld der UNO im Völkermord von Srebrenica sind bis heute nicht aufgeklärt. Seit 2007 führt der deutsche Anwalt Axel Hagedorn im Namen der 6.000 Hinterbliebenen einen Prozess gegen die UNO. Im März dieses Jahres wies ein holländisches Gericht in zweiter Instanz die Klage mit der Begründung ab, die Unangreifbarkeit und die weltweite öffentliche Bedeutung der UNO hätten Vorrang vor den Interessen der Mütter von Srebrenica. Durch diesen Prozess, der vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof landen dürfte, wird völkerrechtlich deutlich, dass die Mitarbeiter der UNO über dem Gesetz stehen und juristisch nicht zu belangen sind. In diesem offenen Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen erklärt Ruch die Beweggründe für die Aktion.
Der Genozid von Srebrenica
In den Tagen nach dem 11. Juli 1995 fand das schlimmste Massaker auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Nach einer dreieinhalbjährigen Belagerung fiel die eingekesselte sog. „Schutzzone“ Srebrenica nach einer serbischen Großoffensive in die Hände der Truppen um Ratko Mladic. Tagelang hatte der Führungsstab der UNO die Angriffe auf mehr als 40.000 Zivilisten hingenommen. Auf Mladics Befehl hin sollten alle Männer und männlichen Jugendlichen erschossen und sämtliche Frauen, Kinder und Alte deportiert werden. Trotz des Beschlusses des Weltsicherheitsrates, Srebrenica und seine Bevölkerung zu beschützen und trotz der vollkommenen Entwaffnung der bosnischen Armee durch die UNO wurden 40.000 Zivilisten tatenlos und ohne jeglichen Widerstand den serbischen Truppen überlassen. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit wurden Männer und männliche Jugendliche von den Frauen und Kindern getrennt und ermordet. In den umliegenden Gebieten begann eine beispiellose Menschenjagd.
Bis heute wurden etwa 6.500 Ermordete aus Massengräbern exhumiert. Davon konnten bislang 4.000 identifiziert und 3.214 auf dem Friedhof der Gedenkstätte Potocari-Srebrenica beigesetzt werden. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag stufte 2001 im Urteil gegen General Radoslav Krstic Srebrenica als Genozid ein. Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag (ICJ) bestätigte im Rahmen der Klage Bosnien-Herzegowinas gegen Serbien im Jahre 2007 die in Srebrenica begangenen Verbrechen als Genozid und machte dafür die Armee und Polizei der „Republika Srpska“ verantwortlich. Unter den mindestens 8.372 Ermordeten befanden sich 571 Frauen.
Ein offener Brief an den Generalsekretär der „United Nations“
An den Generalsekretär der Vereinten Nationen
Ihr Vorgänger stellte 1999 fest: „Srebrenica stellt die größte Schande in der Geschichte der Vereinten Nationen dar.“ Wir fragen uns, warum aus diesen Worten nichts folgt. Über 6.000 Hinterbliebene des Srebrenica-Genozids versuchen seit 2007, Sie zu verklagen (der sog. Hagedorn-Prozess). Wir fragen uns, warum Sie es nicht für notwendig halten, vor Gericht zu erscheinen. Wir fragen uns, ob Ihnen die ungeheuerliche Arroganz gegenüber den Angehörigen der Opfer, die in dem Umstand liegt, nicht einmal vor Gericht zu erscheinen, bewusst ist.
Die Abwesenheit der UNO bei ihrem eigenen Prozess halten wir für einen unwiderruflichen Fehler. Wahrscheinlich haben Sie nicht damit gerechnet, dass die Anmaßung Ihrer Organisation auffallen würde. Aber das tut sie. Dass Sie nicht einmal den Anstand besitzen, den Opfern des Massakers von Srebrenica in einem niederländischen Gerichtssaal in die Augen zu blicken, treibt ein Verhalten auf die Spitze, das die UNO seit Jahren an den Tag legt. Hasan Nuhanovic bittet Sie in jedem Jahr schriftlich, die UNO-Flagge vor dem UN-Hauptquartier in New York am 11. Juli auf Halbmast zu setzen. Sie quittieren seine Schreiben mit nichts als Schweigen.
Den Hinterbliebenen des Genozids zollen Sie keinen Respekt. Ein unwiderruflicher Fehler, der unser Problem ist. Denn Sie repräsentieren uns. Sie repräsentieren unseren Anspruch, etwas aus dem Holocaust gelernt zu haben. Sie repräsentieren unsere Ambition, Genozid zu unterbinden.
Wir haben etwas gegen Ihre Arbeit. Man kann nicht von Arbeit reden. Es sind Machenschaften. Wir haben großen Respekt vor den meisten UNO-Abteilungen, angefangen vom UNHCR bis zum WFP. Aber die Machenschaften des DPKO reißen die gesamte Organisation in die Tiefe. Die Verbrechen einer Abteilung können alle guten Taten zunichte machen.
Im Angesicht von Genoziden ist jedes Mittel Recht, solange die Massentötung von Menschen aufhört. Hitler hätte niemals mit Verhandlungen von seinen Verbrechen abgebracht werden können. Sie haben versagt. Sie haben versagt, die müde gewordenen Bevölkerungen der westlichen Welt aufzurütteln. Sie haben versagt, die Ungeheuerlichkeit von Genoziden aufzuzeigen. Sie haben zugesehen und daneben gestanden.
Sie dachten, die bloße Präsenz müsste die gegnerische Seite auf die Knie fallen lassen. Sie dachten, die Serben würden angesichts Ihrer Hochherzigkeit die genozidale Kriegsführung stoppen. Es gab und gibt bis heute kein Bewusstsein dafür, dass es bei der Verhinderung von Genoziden darum geht, einen gegnerischen Willen auszuschalten. Wohlgemerkt handelt es sich dabei in aller Regel um einen Willen, der die Vernichtung von Tausenden von Menschen bereits in Gang gesetzt hat bzw. gewollt haben muss. Einen Willen, den man nicht nebenher überwinden kann, sondern der überwunden werden muss, wenn wir nicht in Schande ersticken wollen. Wenn wir weiter in der moralischen Gewissheit leben wollen, etwas aus den schlimmsten Ereignissen des 20. Jahrhunderts gelernt zu haben, können wir Ihren Machenschaften nicht länger zusehen. Sie haben Vergewaltiger und Mörder an einen Tisch mit ihren Opfern gesetzt und gesagt, die seien alle schuldig.
Wir setzen jetzt alles daran, öffentlich zu machen, was die UNO in Srebrenica angerichtet hat. Wir werden den Finger in die Wunde legen, die sich Srebrenica nennt. Und wir nehmen Ihnen etwas, was man Ihnen längst hätte nehmen müssen: ihren guten Ruf. Wir wollen, dass auch jene, die bislang nichts von den Ungeheuerlichkeiten Ihrer Verbrechen in Srebrenica wissen, diese zukünftig erahnen können.
Uns ist bewusst, dass das politische Kräftespiel, das zu dem geführt hat, was wir heute „Srebrenica“ nennen müssen, schwer zu vermitteln ist. Aber wir hätten gerne Einsicht in die Protokolle der Sitzung des Krisenstabes der UN in Zagreb vom 10. Juli 1995 unter Leitung von General Bernard Janvier (nach allen Einsatzregeln der Vereinten Nationen waren die Bedingungen für Luftangriffe gegeben). Wir würden gerne wissen, warum Sie nach drei Jahren Bosnienkrieg – nach drei Jahren schlimmster Menschenverletzungen, Massenvergewaltigungen, Massakern und Konzentrationslagern – 40.000 Zivilisten den Serben überlassen haben. Schutzlos und ohne sie zumindest zu eskortieren. Ohne Rotes Kreuz.
Von den 40.000 Zivilisten überlebten mindestens 8.372 die Torturen nicht. Diese Menschen wurden von Schäferhunden aus den verminten Wäldern gejagt. Sie wurden mit Panzern, Granatwerfern und schwerer Artillerie beschossen. Sie wurden in Lagerhäuser gesperrt und im Inneren in die Luft gejagt. Sie wurden auf Feldern erschossen.
Die UNO hielt mit den Luftstreitkräften der NATO das beängstigendste und zwingendste Mittel in der Hand, den Genozid zu verhindern, die Belagerer aus der Luft zu bombardieren und vorrückende Truppen auszulöschen.
Sie kannten die Bilder aus drei Kriegsjahren. Sie wussten, wozu die serbische Armee fähig war. Haben Sie 40.000 Bosnier dem Feind überlassen, um 400 eigene Soldaten zu retten? In der wohlwollendsten Auslegung waren Sie militärisch schlicht unfähig. In einer nicht unwahrscheinlichen Interpretation erscheinen Sie als die Komplizen eines Völkermordes. Denn: Sie haben die bosnische Armee entwaffnet. Sie haben keinen Widerstand gegen den Angriff geleistet. Sie haben den Einsatz der NATO-Luftstreitkräfte verhindert. Sie haben bei der Selektion und Deportation von Frauen und Männern mitgewirkt. Sie haben das Benzin für die Busse besorgt, mit denen die Männer zu den Erschießungsplätzen deportiert wurden. Ihre Soldaten haben die Kriegsverbrechen, deren Zeuge sie wurden, nicht einmal weitergemeldet.
Die UNO ist das einzige Instrument, das wir besitzen, um Genozide zu unterbinden. Menschen wie Raphael Lemkin sind Helden der Geschichte. Sie haben Akte von unfassbarer politischer Größe, Tragweite und Schönheit ins Werk gesetzt. Aber was die UNO in Bosnien angerichtet hat, lässt den Traum zerbrechen, dass wir heute in der Lage wären, den Bau von Auschwitz zu verhindern. Die Vereinten Nationen, die wir letztlich alle sind, wurden gedemütigt. Der Westen mag technologisch überlegen sein. Moralisch halluziniert er vor sich hin.
Wir haben uns aufgemacht, eine Klage gegen Sie zu führen. Auf einem Feld, auf dem Sie gar nicht erst vor Gericht erscheinen müssen. Wir werden uns keiner Gerichte bedienen. Wir bedienen uns eines Bildes, das darstellt, was durch Srebrenica und Bosnien auf ihren Schultern lastet oder lasten sollte. Wir haben uns aufgemacht, Ihre ungeheuerlichen Verfehlungen auf neuen Wegen anzuklagen.
Philipp Ruch
Projektleiter des „Stub Srama“–Projektes
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