Montag, 8. August 2011

Gut und böse?


Manche sagen, dass gut und böse nicht mehr so recht zu unterscheiden sind. Die Regeln wurden umarrangiert, und bei der neuen Konstellation blicken viele Leute nicht mehr so richtig durch. Ausserdem lebt es keiner mehr vor, was der Unterschied sein soll.

"Sie leben nichts mehr vor, es wird nur gesagt, das ist nicht so gut, wenn Du dies oder das machst", sagte mir ein Junge aus meinem Umfeld. Die anderen alle, die direkt betroffen sind von manchen dieser zweifelhaften Arrangements, stecken fest, werden festgehalten in der Hoffnungslosigkeit.

Es ist egal, von welcher Seite aus diese Arrangements betrachtet werden, die Meisten klammern sich nur noch an irgendwelchen äusseren Formen fest, an Regeln die korrekt erscheinen. Die eigene Identität, das bisschen an Rebellion und Aufmüpfigkeit wird möglichst verborgen. Dazu braucht es auch die Regeln, denn diese sollen mithelfen, das brodelnde Innenleben ruhig zu stellen.

Führt dies zu Gemeinschaft mit anderen, werden die Themen abstrakt abgehandelt. Nur ja keine persönliche Regung zu sehr zeigen, nichts äußern das zu identisch ist. Das aber ist eigentlich keine Gemeinschaft, sondern lediglich ein eventueller Austausch über die Abstraktheit dessen, über das befunden werden soll. Im Klartext: Man zeigt sich betroffen, setzt sich für etwas ein, aber alles dies bleibt irgendwie im luftleeren Raum - so hohl, wie die eigene entleerte Identität.

Viele wissen genau, gegen was sie sind und das schon immer mit aller Kraft. Aber, wenn sie gefragt werden, für was sie statt des Abgelehnten sind, kommt keine Antwort - jedenfalls keine, die kongret und brauchbar wäre. Gegen etwas sein, das dient oft dazu, die eigene Wichtigkeit zu betonen, das eigene Interresse herauszustreichen. Bei manchen Leuten ist es dazu verkommen, das eigene Geschäftsinterresse damit zu puschen.

Aufmüpfigkeit wird heute von sehr vielen Gegebenheiten erstickt, und das persönliche Umfeld gibt den meisten Betroffenen den Rest,- noch vor der Gesellschaft der sogenannten Mitmenschen an sich. Also, gibt der Mensch seine Übereinstimmung mit sich selber ab, wirft sie weg als wäre sie eine Last - hinderlich geworden beim Umgang mit anderen,- beim eventuellen Weiterkommen im sogenannten Leben, das irgend eines ist, - wegen der ansgestrebten Karriere, usw.

"Wir sind nicht wirklich böse, aber auch nicht gut, uns ist alles nur ziemlich scheissegal - zum Mindesten das, was persönlich betroffen machen könnte. Nichts darf von der Arbeitskraft abhalten, und darauf ist alles ausgerichtet." Das ist die Meinung eines meiner Nachbarn. Doch, wir reden noch miteinander, ziemlich kritisch sogar, aber ja nicht auffällig werden. Immer schön ausgewogen bleiben, mit allen "Wenn's und Aber's" inclusive.

Unter der Angstknute einer politisch vorwärtsgepeitschten Welt, in der die Menschen wirtschaftlich ausgeblutet werden, damit sie eilfertiger in den Sklavenstrom eintauchen, roboten auch die Besitzenden noch mehr für einige herausgeschundene Milliarden. Hinter der Gier gähnt etwas Undefinierbares, das menschlich identisch hätte sein können, aber nie eine Chance hatte.

Diese Welt, in die heutige Menschen hineingeworfen wurden, ist nicht mehr ursprünglich. Sie wurde längst umgearbeitet, auf-und durchgewühlt, verändert bis zur Unkenntlichkeit. Das, was wir vereinzelt noch als Natur bezeichnen, ist eigentlich keine mehr. Über lange Zeiten hinweg ist es der Menschheit gelungen jene Hölle zu errichten, in der heute alle ohne Ausnahme zurecht kommen sollen.

Für manche ist sie fast komplett, diese Hölle, einschliesslich Folter und Tod. Bei anderen, den sogenannten zivilisierteren, demokratischen Landstrichen, ist sie abgestufter. Die Feuertaufe des brennenden Wassers aus dem Sklavenstrom bekommen aber alle zu spüren, ob sie es wahrhaben wollen, oder nicht. Und die meisten Menschen heissen dies eine gute Sache - schaffen muss der Mensch, so steht es schon fast immer geschrieben...
So sagt es der Staat...
So wird der Mensch zugerichtet...

Und dann stösst dieser Mensch an seine Grenzen. Manche werden hinabgeschleudert in das heutige Elend, ausgesucht hat es sich fast keiner. Das Trauerspiel dabei ist allerdings, dass immer weniger dieser Menschen erkennen, wo ihre innere Unabhängigkeit wenigstens sein könnte. Und so wird die Moral pervertiert zu etwas, das nun mal sein muss, aber die Regeln sind verwaschen und verschwommen zwischen Hetztiraden, Kriegen und Gewalt, die auch in friedlichsten Bereichen durch fast alle Bewegungen hindurch zu glimmen scheint.

Wer sich nicht aufzumucken traut, schweigt und von anderen die gleiche Grabesstille abfordert, der verleugnet seine eigenen Impulse, weil er sie fürchtet. Falls so ein Mensch diesen Impulsen nachgeben würde, brächte ihm das Nachteile ein. Also, ordnet er sich unter. Damit dieses Unterordnen, die Routine und Beruhigung durch dieses geordnete Leben, nicht gestört wird, werden alle zum Verstummen gezwungen, die anders sind. Würde diese Unterordnung gestört werden, bräche sich eventuell eine Sebstverachtung Bahn, die nur schwer erträglich wäre. In diesem Dasein ist nicht mehr viel wirklich echt, darum darf auch nichts mehr an Echtheit erinnern.

Der Mensch trennt sich ab von dem was Menschsein ausmachen würde - vom echten Miteinander. Immer mehr Lebensanteile werden zersplittert, immer mehr von einem intakten Menschsein wird auseinander gerissen. Manche Menschen bestehen aus ihrer Leidenschaft für etwas, mit dem sie eventuell auch ihr Geld verdienen, und ansonsten aus einem System leeren Geschwätzes voller Abstraktionen, das sie über ihre innere Wüste gebreitet haben.

Ist ein Mensch stark, wenn er nicht leidet? Wenn er das Leiden stoisch und schweigend hinter sich bringen muss, weil sich keiner mehr erbarmt, nicht zuhört, nicht zu ihm herbeugt? Oder, ist es nicht so, dass jeder darauf bedacht sein soll, sich in weitestgehendem Masse von seinen Gefühlen abzutrennen? Dann aber ist keiner mehr stark, denn dies beweist, dass diese Menschen nicht die Kraft haben, Leid zu ertragen - zu tolerieren, dass es neben ihnen Menschen gibt, die leiden. Wenigstens das...

Genau das aber ist es, was die Realitäten auf den Kopf stellt. Es ist oft schwer zu durchschauen, weil so allerlei Erklärungen für alles Mögliche, die uns aufgetischt werden von denen, die angeblich das Sagen haben, als gültig ausgegeben werden. Dazuhin werden die vorgegebenen Realitäten institutionalisiert. Genauso funktioniert es, wenn einer los geht um zu töten,- das was er angeblich an anderen hasst, - gegen das, was er als feindlich empfindet, ausserhalb seiner selbst. Doch genau das wäre eventuell das Gute in ihm selber, wenn er es zulassen könnte.

So werden Begriffe zu jenen Herren über das Innenleben der Menschen,- so werden Menschen manipuliert, oder manipulieren sich selber. Sie begeben sich in den Dreck hinab, in dem sie dann zu ersticken drohen - diesem stinkenden Morast der verinnerlichten Abstraktionen. Wenn dann einige Leute noch aufschreien, das Tabu um dies alles brechen wollen, zuckt der grosse Rest genervt zusammen, und ruft zur Tagesordnung - zum Schweigen - um ungestört den Weg in den Absolutismus weiter gehen zu können.

Genau auf diesem Weg sind wir auch - unauffällig und scheinheilig - ohne, dass wir es wahrhaben wollen. Wir geben uns noch gefühlig, während wir schon die Macht über andere gut heissen. Und alle halten sich für so unheilbar geistig gesund, dass sie nicht mehr merken, wie irrsinnig alles geworden ist.

Der Mensch ist sich selber entfremdet, seinem Menschsein, seiner Menschlichkeit und seinem Ureigensein darin. Darum ist alles das möglich, das wir erleben: Dass wir nicht mehr aufschreien, wenn Kriege geführt werden,- dass wir es abtun, wenn neben uns Menschen verhungern,- dass wir nach nichts Gutem mehr streben, denn wir halten es nicht mehr für möglich, dass es verwirklicht werden könnte,- dass wir Menschen, die das Gute dennoch anstreben, beschimpfen,- dass wir Leidende verunglimpfen,- dass wir ihr Leiden lächerlich machen,- dass wir wieder foltern, oder foltern lassen,- dass wir uns nicht mehr wehren...

Sich einfügen, anpassen, dumpf werden,- das reicht, Hauptsache, man hat auch noch Erfolg dabei. Den weniger Erfolgreichen wird dann eben dies auch noch vorgeworfen, während die Einwanderer dazu gezwungen werden, genau die selben tauben Dumpfbacken zu werden, wie es die anderen schon sind. Nein, wir wollen um nichts in der Welt daran erinnert werden, dass wir die Sklaven sind, die sich unter jeden gerade opportun erscheinenden Mist ducken. Hauptsache, es herrscht Ruhe...

Aber, die Ruhe ist trügerisch, denn das Verdrängte im Menschen, das Verratene und Verkaufte, drängt nach aussen. Unter einem Berg von Falschheit läßt es sich zumeist mühsam verbergen. Die Gewalt brodelt darunter, denn Solschenizyn hatte schon erkannt, dass alles Gewaltsame immer auch mit Falschheit verflochten ist. Darin wird Lebendigkeit zur Gefahr, Freiheit zur Bedrohung.

Wer sich niemals auflehnen darf, hat keine Chance auf die ureigene Persönlichkeit. Es gibt keine allgemeine Methode dafür, jeder Mensch ist einzigartig, auch wenn uns die Politik das vergessen machen will. Wir aber unterwerfen uns, weil es bequemer ist,- weil es davor bewahrt, zu entdecken, dass wir Menschen sind - und davor, dieses Menschsein mit Leben erfüllen zu müssen, und es mit allen Facetten bei anderen zuzulassen.

So lange, wie sich die sogenannte Menschheit davor scheut, sich duckt, sich fügt, ist sie keine - sondern nur eine Ansammlung irgendwie zusammengewürfelter Barbaren, unabhängig davon, wie weit angeblich die Zivilisation, der Fortschritt, und das was als Demokratie ausgegeben wird, schon fortgeschritten sind, in dem jeweiligen politischen Auswirkungskreis, in dem ein Mensch lebt.





Keine Kommentare: