Steuerparadies Deutschland
Reinhard Jellen 27.10.2010
Interview mit Kim Otto über eigentümliche Praktiken der Begüterten - und wie diese von den Finanzämtern unterstützt werden
Während Hartz-IV-Bezieher damit rechnen müssen, dass Kontrolleure sogar in ihren Kühlschrank blicken, um potentiellen Missbrauch aufzudecken, dürfen Wohlhabende in Deutschland in puncto Steuerzahlungen mit einem rücksichtsvollen und nachlässigen Vorgehen des Staates rechnen - und dass, obwohl dem notleidenden Fiskus damit dreistellige Milliardensummen entgehen. Dabei offenbaren die Besserverdiener in Sachen Steuerhinterziehung olympischen Ehrgeiz und ungeahnte anarchistische Energien. Ein Interview mit Kim Otto, der sich mit seinem Kollegen Sascha Adamek für das Buch "Schön Reich - Steuern zahlen die anderen" investigativ dem Thema widmete.
Herr Otto - während sich Medien über die 0,1 prozentige Zunahme der vermuteten Missbrauchsfälle beim Bezug von Hartz IV auf insgesamt 1,9 Prozent heftig empören, wird im Vergleich dazu über den Steuerbetrug bei gehobenen und Spitzeneinkommen vornehm der Mantel des Schweigens gebreitet. Wie hoch schätzen Sie die reale Steuerhinterzieherquote bei Wohlhabenden ein und welche Summe würde schätzungsweise dem Fiskus zufließen, wenn hier die Missbrauchsquote sich wie bei den Hartz-IV-Beziehern auf 1,9 Prozent belaufen würde?
Kim Otto: Ich finde Sozialleistungsmissbrauch auch nicht gut, um das vorab zusagen. Auch diese Menschen nutzen den Sozialstaat aus, genauso wie die Steuerhinterzieher. Allerdings kam es bei einem Sozialleistungs-Etat für's SGB II (Arbeitslosengeld II) in Höhe von 24 Mrd. Euro im Jahr 2009 zu Überzahlungen in der Größenordnung von 72 Millionen Euro. Hingegen kostet die Steuerhinterziehung, laut OECD, den deutschen Steuerzahler jedes Jahr über 100 Mrd. Euro. Anders gerechnet belastet das jeden einzelnen Deutschen mit gut 1250 EUR im Jahr. Das ist also eine ganz andere Hausnummer und es gibt keinen öffentlichen Aufschrei. Obwohl diejenigen, welche hier betrügen, oftmals sehr reich sind. Auch sind die Zahlen des Sozialmissbrauches ja nicht gestiegen. Die Bundesagentur verweist darauf, dass sie nur mehr Personal zur Prüfung hatte und so mehr Betrugsfälle aufdecken konnte. Hingegen wird in der Steuerverwaltung immer mehr Personal abgebaut und dadurch wird die Steuerhinterziehung auch noch gefördert.Mehr zum Thema erfahren:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33550/1.html
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