Montag, 11. Mai 2009

"Easy going" drauf sein, mit der Trauer und der Einigkeit Deutschlands

http://www.zeit.de/2009/20/L-B-Kluessendorf


Belletristik

Frauen in Halbtrauer

Angelika Klüssendorfs »Amateure« inszenieren weibliche Ohnmacht und Verlorenheit

Zwanzig Jahre Mauerfall« – eigentlich doch ein Grund zum Feiern. Im neuen Erzählband Amateure von Angelika Klüssendorf allerdings ist die »deutsche Teilung« stabiler denn je. Wie im historischen Wiedervereinigungsgeschehen geht auch hier in diesen Beziehungsgeschichten alles viel zu schnell. Kaum haben sich »zwei völlig fremde Menschen … auf der Mauer geküsst«, sind sie auch schon verheiratet oder wenigstens schwanger. Und bei der ersten gemeinsamen Reise in die »Flitterwochen« geht ihnen dann, wie den beiden Ameisen von Ringelnatz – »schon in Altona auf der Chaussee taten ihnen die Füße weh« –, schon die Luft aus.

Edna und Moritz zum Beispiel. Anfangs imponiert der weltläufige Fernsehredakteur der scheuen ostdeutschen »Museologin«. Er kann so gut reden, wirkt so begeisterungsfähig. Aber bei der ersten gemeinsamen Fahrradtour durch Mecklenburg geht ihr dieses übertriebene Schwärmen von der tollen »desolaten Aura« der Landschaft ziemlich auf die Nerven. Und als der Herr Westredakteur dann einen Ostkellner anherrscht (»Sie wissen wohl nicht, wer ich bin«), ist die Geschichte schon wieder zu Ende.

Katharina, der Studentin aus Dresden, ergeht es ähnlich. Sie muss sich von Steffen, Zahnarzt mit eigener Praxis, anhören: »Easy going… du musst lernen, easy going zu sein.« Und auch die Malerin Wiebke, die dem Redakteur Moritz als Nächste ins Netz geht, bekommt auf Englisch beigebracht, dass sie eine ziemliche Trantüte ist: »The early bird catches the worm.« Ihre Bilder sind nicht besonders, und deshalb dachte sie ja auch, »dass es richtig wäre, sich auf Moritz einzulassen, auf eine Familie«. Was sie nicht »dachte«, war, dass sie gleich Zwillinge bekommen würde, mit denen sie nun allein fertig werden muss, weil Moritz, was sie auch nicht für möglich hielt, ihre Schwangerschaft »wie ein Scherz« vorkam.

Das Schema dieser »asymmetrischen« Beziehungen ist immer das Gleiche. Der Westen pirscht sich in Gestalt eines zwielichtigen Erfolgsmenschen mit Kreidestimme an das arglose Ost-Rotkäppchen heran. Und wenn er seine Siegergene weitergegeben hat, ist sein Interesse erloschen. Jeder Kaiserpinguin in der Antarktis (zwei traute Exemplare sind auf dem Buchumschlag abgebildet) sorgt sich mehr um seinen Nachwuchs als diese gefühlsverarmten Westväter. In den beziehungsgeschädigten Kindern wiederholt sich dann das Übel. Der halbwüchsige Sohn von Steffen, dem Zahnarzt, bekommt seinen Vater, der seine Zeit lieber mit Computerspielen verbringt, so gut wie nie zu Gesicht. Seinen Frust reagiert der Knabe einer alleinerziehenden neurotischen Mutter ebenfalls mit Ballerspielen ab, wobei er seinen kindischen Vater dann wenigstens virtuell totschießt.

Gewaltfantasien ziehen sich durch fast alle elf kurzen Short-Cut-Texte wie eine Reihe anderer Leitmotive – etwa die schlagertextartigen Liebeskitschformeln und Entfremdungsvokabeln, die Familienbande zwischen den Figuren knüpfen, die ansonsten (obgleich teilweise verwandt) einzig durch ihre Beziehungslosigkeit miteinander verbunden sind.

Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in der DDR und 1985 in den Westen ausgewandert, hat sich schon in ihren früheren Geschichten (Anfall von Glück, Alle leben so) im Genre des menschlichen Extremscheiterns versucht. Schlimme Kindheit, verheerende Familienverhältnisse sind ihre Spezialität. Im neuen Erzählband gibt es sogar die Variante des extremen Extremscheiterns: das vom Scheitern bedrohte Scheitern. Georg, einer aus der Moritz-Sippe, ist lebensmüde und will sich erschießen. Aber der Revolver spielt nicht mit. Aus Verzweiflung beschließt der übergewichtige Mann weiterzuleben und versucht sein Unglück mit einem Bankeinbruch, der ihm mühelos gelingt. Auf Teneriffa, wo er das erbeutete Geld verprasst, bringen ihn weder Sonnenstich noch Langeweile um. Erst ein Flugzeugabsturz kann dieses Werk des Scheiterns vollenden.

All diese Figuren wirken wie verkorkt, innerlich taub und berührungsresistent, und klammern sich ebendeshalb hilflos aneinander. Eine unauflösbare Trostlosigkeit geht von ihnen aus.

Daran ist zunächst nichts auszusetzen. Die besten und schönsten Texte der Literatur handeln von trostlosen Dingen, ohne selbst trostlos zu sein. Die von Updike etwa oder Raymond Carver, den Klüssendorf mehrfach »zitiert«. Oder auch die neuen Erzählungen von Judith Hermann. Zwischen dem neuen Hermann-Buch Alice (ZEIT Nr. 19/09) und den Amateuren gibt es viele Schnittstellen, deren erstaunlichste darin besteht, dass beide Erzählerinnen im Jahr 2009 noch immer weibliche Ohnmacht und Orientierungslosigkeit ins Zentrum ihrer Arbeit stellen. Beide Bücher sind ein Zyklus von Erzählungen ohne inneren Zusammenhang, an den hier niemand mehr glaubt.

Und doch gibt es deutliche Unterschiede. Hermanns Erzählungen haben nicht nur – wie gute Weine – Körper. Sie haben ein melancholisches Bewusstsein, das sie mit jeder Silbe ausdünsten, das alle Sätze atmosphärisch umhüllt. Eine schmerzlich spürbare Differenz zur dargestellten Welt, die im ganzen Text vibriert und den Gefühlsraum des Lesers mit in Schwingung versetzt.

Von den Amateuren bleibt man beim Lesen jedoch unberührt, fast so anästhesiert wie der arme Georg, wie Edna, Moritz, Wiebke und all die anderen und der Text selber, der sich an der Lustlosigkeit und Fadheit der Figuren infiziert hat. Die Beziehungslosigkeit der Figuren wirkt inszeniert und ideologisch. Als Skandal, an dem sich die Sprache aufreibt, wird sie nie spürbar. Hier wird ein Scheitern behauptet, zu dem man nicht vordringt, weil man über das Scheitern von Sätzen nicht hinauskommt. Vielleicht sollen leblose Syntax, Klischeesprache, hohl tönende Sätze den Stupor der Figuren abbilden, ihre Gefühlsohnmacht durch Beschreibungsohnmacht simulieren. Aber solche Mimikry geht leicht schief. Keine Wirklichkeit ist so öde, so in ihrer Totalität trostlos, wie hier ertüftelt. Wo bleibt das Chaos, das in jedem Kopf ein Wörtchen mitzureden hat, das Vieldeutige, das sich in Literatur ereignen will, das Satz-für-Satz-auf-der-Kippe-Stehen?

Ein kleiner Text Über das Tragische von Ossip Mandelstam bringt die Sache auf den Punkt: »Wenn ein Schriftsteller es sich zur Pflicht macht, um jeden Preis ›tragisch vom Leben zu künden‹, jedoch auf seiner Palette keine tief kontrastierenden Farben besitzt; und das Wichtigste – wenn ihm das Feingefühl für jenes Gesetz abgeht, demzufolge das Tragische … sich in ein allgemeines Bild der Welt fügen muss, wird er ein ›Halbfabrikat‹ des Schreckens und der Erstarrung liefern, nur gerade deren Rohmaterial, das bei uns ein Gefühl des Widerwillens hervorruft und in der wohlmeinenden Kritik besser unter dem Kosenamen ›Alltags- und Milieustudie‹ bekannt ist.«

Zum Thema

DIE ZEIT 19/2009: Das große Männersterben
Die Berliner Schriftstellerin Judith Hermann erzählt davon, wie Frauen mit zartbitterer Traurigkeit alles überleben – vor allem die Männer.
[http://www.zeit.de/2009/19/L-Hermann]

ZEIT ONLINE 18/2009: Für den Tod gibt's keine Sprache
Sechs Jahre war sie weg: Nun spricht die Schriftstellerin Judith Hermann über ihr neues Buch "Alice", den Umgang mit dem Tod und den Autor im Internetzeitalter
[http://www.zeit.de/online/2009/18/interview-judith-hermann]


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