Sonntag, 12. Juli 2009

ad sinistram: Journalistischer Umgang mit Diktaturen - (über die gewählten Hurensöhne des Volkes)

Journalistischer Umgang mit Diktaturen

Samstag, 11. Juli 2009

Ersterer läßt sich nach zweifelhaften Wahlen zum Präsidenten ausrufen - zweiterer wird immer wieder gewählt, weil ihn sein selbstgefälliges Haus- und Hofmedienimperium stets erneut reinwäscht. Der eine läßt Demonstranten mit Gewalt niederknüppeln - der andere hat zur Rottenbildung ermuntert, läßt Bürgerwehren zu, die mit Stahlrohren an Minderheiten und Migranten Zivilcourage üben. Dieser spricht sich für eine drakonische Gesetzgebung aus, bei der auch Hände dem Säbel zum Opfer fallen dürfen - jener erläßt per Gesetz Selbstamnestien, die ihn nach seinem Machtmißbrauch als unschuldigen Mann aus Amt und Würden entlassen. Der eine läßt religiöse Mystiker, fremde Glaubensgemeinschaften und Sekten verfolgen - der andere verfolgt eine rigide Politik des Rassismus, behandelt Afrikaner wie streunendes Vieh. Hier weint man um Neda Agha-Soltan - dort um Carlo Giuliani.

Was Berlusconi und Ahmadinedschad verbindet ist der Umstand, dass demokratische Strukturen gut zu ihnen waren. Die freie Wahl hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind. Beide sind Volkstribune, weil sie ihre Macht auf legitime Wahlen begründen; beide können sich nicht Diktatoren nennen, weil sie die Macht nie ergriffen, ihrem Volk nie aufdiktiert haben, sondern nur dankbar annahmen, als das Volk sie ihnen in den Schoß warf. Sie diktieren ihrem Volk Untragbarkeiten auf, diktieren ihnen die Spielregeln von Meinungsfreiheit und Oppositionsarbeit vor, sind aber keine diktierenden Diktatoren. Der Faschismus und das Totalitäre sind in demokratischen Fahrwassern angekommen. Es gibt keine Diktatoren mehr, nicht weil die Welt besser geworden, nicht weil das Diktatorische ausgestorben wäre - nein, weil sie - die Welt - demokratischer geworden ist, weil sie den Ruch demokratischer Legitimität kultiviert hat. Wenn das Volk einen Lumpen auf den Thron setzt, dann ist er kein Tyrann mehr, dann ist er der Mann des Volkes. Oder, frei nach Roosevelt, und damit das Motto US-amerikanischer Außenpolitik zitierend: Dann ist er zwar ein Hurensohn, aber deren Hurensohn, der Hurensohn des Volkes.

Was sie trennt ist indes schwieriger zu definieren. Unrecht bleibt Unrecht, etwaige mildere Vorgehensweisen der Menschenverachtung sind ohne Aussagekraft, weil das Unrecht immer ungerecht für denjenigen bleibt, der davon betroffen ist. Wenn hier schwingende Stahlrohre nur auf Extremitäten knallen, während sie dort auch Schädelknochen zum Bersten bringen, dann ist die erstere Variante nicht demokratischer, nur weil man weniger lebenswichtige Körperstellen traktiert hat. Müßte man sie aber wirklich unterscheiden, die beiden Diktatoren, die keine sind, qua definitionem gar nicht sein können, weil sie sich dem Volk nicht aufdiktiert haben, sondern das Volk sie sich selbst auferlegt hat - (eine seltsame Variante der Diktatur des Proletariats) -, dann sollte man in die Zeitungen unserer bundesrepublikanischen Zivilisation blicken, dann sollte man hierzulande in die Blätter des großen Meinungsmachers schauen.

Und in diesen aus Skandalgeschichtchen und politischer Dummheit ranzigen und speckigen Blättern findet sich ein Berlusconi, der so gar nicht an den kleinen Mann aus der Emilia-Romagna erinnert, der einst als Duce Weltgeschichte für italienische Journalisten ersonnen hat. Stattdessen winkt er mit Blondinen und Brünetten vom Aufmacher herunter, darf sich als gealterter, aber dennoch freudig penetrierender Casanova produzieren und die Skandale um ihn vergessen machen. Man liest bei Springer nichts von den Squadri, die mit Stahlstangen durch italienische Stadtteile mit rumänischer Bevölkerung ziehen, nichts vom Antiziganismus des Regimes, von der strengen Registrierungs- und Depressionspolitik gegen Sinti und Roma. Nein, Berlusconi bumst sich durchs BILD, darf sein geliftetes Gesicht als Antlitz des Italian Stallion darbieten und sein altersschwaches Genital zum Sujet der Berichterstattung küren.

Der Menschenfreund aus dem Mittleren Osten wird weniger freundlich behandelt. Jeder Artikel, der sich mit ihm befaßt, wird mit den journalistisch neutralen Worten "Neues vom Irren aus Teheran" eingeläutet. Was folgt ist das übliche Theater vom Atombombenbau, vom Regime der Mullahs, von der Unterdrückung der Frau, vom Geist des Mittelalters, der in dieser Weltregion herrsche, vom rückständigen Islam und von Ahmadinedschads Absicht, Israel den Erdboden gleichzumachen - und diese Mär vom aus der Welt gebombten Israel, obwohl mehrfach erklärt wurde, dass die Übersetzung, die eine solche Mission in die Welt setzte, fehlerhaft gewesen sei. Viele der Vorwürfe mögen sogar stimmen, Opposition wird im Iran nicht gerne gesehen, Menschen werden unterdrückt - aber warum trifft das dann nicht auch für Italien zu? Gerade für Italien, Mitglied der EU, quasi ein Nachbarland unsererseits? Mangelt es dem Iran, mangelt es Ahmadinedschad an Modepüppchen, die er gassiführen könnte?

Mit dem Nachbarn Italien legt man sich nicht an, selbst wenn dort der Sensenmann wütet. So hielten es einst schon die biederen Demokraten der Weimarer Republik, die sich ihrerseits ebenso wenig um die Belange jenseits der Alpen kümmerten. Aber der Iran, auf dem Objekt der Begierde sitzend, mitten in einer geostrategisch wichtigen Weltregion, muß noch teuflischer als der Teufel selbst umschrieben werden. Die Interessen sind die altbekannten. Wer Diktator ist und wer nicht, das entscheidet hierzulande nicht die (journalistische) Objektivität, sondern die wirtschaftliche Interessenlage, das entscheidet maßgeblich das Verlautbarungsorgan des deutschen Stammtisches, das entscheiden Diekmann und Konsorten. Da können noch so oft menschenunwürdige Zustände auf Lampedusa auftreten, noch so oft Sinti und Roma aus den Städten Norditaliens vertrieben werden, noch so oft Bürgerwehren unerwünschte Köpfe in Neapel oder Mailand demolieren - für uns hat Italien demokratisch zu sein. So wie der Iran schon in der Zeit vor Ahmadinedschad als totalitär und rückständig gegolten hat, obwohl in dieser Ära die Alphabetisierungsrate anstieg, gerade auch immer mehr Frauen lesen und schreiben lernten, obwohl zeitgleich - und als Resultat der Alphabetisierung - sich die Geburtenkontrolle bemerkbar machte und Wahlen immer wieder zu Regierungswechseln führten - all das, als Spiegelbild sich demokratisierender Zustände, spielte seinerzeit schon keine Rolle. Indem man den Iran trotz tendenzieller Demokratisierung international ächtete, hievte man einen Mann wie Ahmadinedschad auf den Chefsessel der Nation. Der angeblich Irre aus Teheran ist durchaus als Reaktion auf diese Ächtung zu verstehen.

Der zeitgenössische Diktator wird nicht an den Zuständen in seinem Land gemessen, er wird nach dem Nutzen für unsere Gesellschaft kaschiert und gedeckt, so wie Demokraten zuweilen zu Tyrannen umfunktioniert werden, wenn sie sich zu demokratisch gebärden. Der Grund, warum Berlusconi sich in der BILD erigiert, ist sicher nicht seine unbremsbare Libido - weil Knochen knacken, weil Blut fließt, weil die dortige Polizei rüde auf unliebsame Menschen eindrischt, Leberwursttaktiken anwendet, wie einst die Polizei Berlins, nur noch rüder, noch gewaltsamer, daher ist Berlusconis senile Geilheit Thema. Er hat kein Diktator zu sein, weil es nicht in unserem Interesse liegt, dass er ein solcher ist. Darum spielt er den notgeilen alten Bock, als Gegenentwurf des demokratischen Diktators...
ad sinistram: Journalistischer Umgang mit Diktaturen

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