Samstag, 18. Juli 2009

Berichte aus dem Schlachthaus: Flexibel sein in Afghanistan





















http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1988



IMI-Standpunkt 2009/044 - in: info-Blatt, Juli 2009


Morgens Nahrungsmittel verteilen, mittags bombardieren und abends eine Schule aufbauen


Interview mit Jürgen Wagner zur Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit


Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) aus Tübingen stellte am 5. Juni im Rahmen der Veranstaltungsreihe La Mirada Distinta seine Studie „Mit Sicherheit keine Entwicklung! Die Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit“ vor. Organisiert wurde diese Veranstaltung vom neu gegründeten EU-Arbeitskreis des Öku-Büros zur Vorbereitung auf das im Herbst stattfindende Seminar zur EU-Außenpolitik „Macht[T]raum EU – Freihandel, Entwicklungspolitik, Militarisierung, Migration“ (siehe Anzeige letzte Seite). Das Interview mit Jürgen Wagner fand im Kontext dieser Veranstaltung statt, die Fragen stellte der EU-Arbeitskreis.


Frage: Der Titel einer Studie von dir aus dem Jahr 2008 lautet „Mit Sicherheit keine Entwicklung. Die Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit“. Kannst du uns etwas über die Zusammenhänge von Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik erzählen?

Nun, während des Kalten Krieges war es anfangs so, dass zwischen Entwicklungs- und Sicherheitspolitik kaum differenziert wurde, beide sollten auf die Durchsetzung der Interessen der westlichen Länder abzielen. Selbst Rüstungslieferungen wurden stets als Beitrag zur Entwicklungshilfe bezeichnet. Ab den 1960er Jahren geriet diese unterschiedlose Vermengung jedoch verstärkt in die Kritik und es entstand langsam ein Konsens, dass Sicherheitspolitik und Entwicklungshilfe strikt voneinander getrennt und Letztere – zumindest formal – ausschließlich auf die unmittelbare Armutsbekämpfung fokussiert sein sollte.

Zudem versprachen die im OECD-Entwicklungsausschuss (OECD-DAC) versammelten wichtigsten Geberländer bereits mit UN-Resolution 2626 vom 24. Oktober 1970 künftig 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Für diese „Official Development Assistance“ (ODA) wurden Kriterien aufgestellt, welche Ausgaben hierunter fallen: militärrelevante Ausgaben wurden strikt ausgeklammert und festgelegt, dass Gelder unmittelbar der Armutsbekämpfung dienen müssen, um als ODA abgerechnet und so als Beitrag zur Erfüllung des 0,7 Prozent-Versprechens deklariert werden zu können.

Was ich nun in letzter Zeit festgestellt und in meiner Studie ausführlich beschrieben habe, ist, dass diese zumindest auf dem Papier existierende strikte Trennung zwischen Sicher­heits- und Entwicklungspolitik in den letzten Jahren wieder extrem erodiert.

Wie wird dies begründet?

Also ganz verkürzt gesagt wird dabei folgendermaßen argumentiert: Gewaltsame Konflikte in Ländern der sog. Dritten Welt würden zum Zusammenbruch von Staaten („failed states“) führen. Dies wiederum verhindere westliche Investitionen und eine Integration in den Weltmarkt, die wiederum die notwendige Bedingung für nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung seien.

Mehr oder weniger elegant werden so Kriegseinsätze zu einem entwick­lungs­politischen Projekt umdefiniert. Denn aus diesem Konstrukt wird wiederum abgeleitet, dass die (militärische) Stabilisierung sog. gescheiterter Staaten die Vorbedingung für Entwicklung sei und demzufolge die prioritäre Aufgabe nicht nur der Sicherheits-, sondern eben auch der Entwicklungspolitik darstellen müsse.

Teilst Du diese Analyse?

Ich habe ein extremes Problem mit dieser Argumentationskette: Sie basiert auf der Annahme, Gewaltkonflikte in der sog. Dritten Welt seien primär auf Binnenfaktoren zurückzuführen (habgierige Warlords, ethnische Konflikte, etc.), es bedürfe demzufolge westlicher „aufgeklärter“ Interventionen, um diese Staaten aus ihren angeblich selbstverschuldeten Konflikten zu befreien. Das ist schlicht falsch. Der Westen trägt etwa über seine Rüstungsexporte eine maßgebliche Verantwortung für diese Konflikte. Vor allem aber die Auswirkungen des neoliberalen Welt­wirt­schaftssystems, das zu einer massiven Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung geführt hat, sind hier zu nennen. Denn in der Kriegsursachenforschung ist mittlerweile nahezu unstrittig, dass Armut der bei weitem wichtigste Faktor für die gewaltsame Eskalation von Konflikten in der sog. Dritten Welt darstellt. Da aber von westlicher Seite keinerlei Bereitschaft existiert, an den Spielregeln der herrschenden Wirtschaftsordnung mitsamt ihren Ausbeutungsmechanismen etwas zu ändern, wird der Rückgriff auf das Militär erforderlich, um den Dampfkessel der Globalisierungskonflikte unter Kontrolle halten zu können. Da im Zuge solcher „Stabilisierungseinsätze“ letztendlich neoliberale „Reformen“ mit vorgehaltener Pistole aufoktroyiert werden, wird damit aber lediglich der Kreislauf aus Armut, hieraus resultierenden Konflikten und schließlich westlichen Militärinterventionen zur Absicherung der bestehenden Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnisse perpetuiert.

Ein aktuelles Beispiel, wie die Kausalkette zwischen neoliberalen „Reformen“, Verarmung der Bevölkerung, gewaltsamen Konflikten und westlichen Militärinterventionen funktioniert, ist die Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika: Als Somalia in den 1980er Jahren in die Schuldenkrise geriet und durch Strukturanpassungsprogramme des IWF zur Übernahme neoliberaler Politiken gezwungen wurde, brach der Staat in der Folge zusammen. Staatsangestellte konnten nicht mehr entlohnt werden, weshalb u.a. die Küstenwache entlassen wurde. Dies hatte zur Folge, dass europäische Fischfangflotten die Region leerfischten und den somalischen Fischern die Lebensgrundlage entzogen. Aus diesen zwei Gruppen – ehemalige Angestellte der Küstenwache und verarmte Fischer – setzt sich ein Großteil der nun in den Blick der Öffentlichkeit geratenen Piraten zusammen, die am Horn von Afrika Schiffe aufbringen (und damit aus westlicher Sicht den freien Warenverkehr gefährden). Anstatt aber die Ursachen des Phänomens anzugehen, entsandten die NATO („Allied Provider“) und die Europäische Union („ATALANTA“) jüngst Kriegsschiffe in die Region, um das Problem wortwörtlich zu bekämpfen.

Militärischer Stabilitätsexport ist aus meiner Sicht also vielmehr die notwendige Bedingung, um die herrschenden Armutszustände aufrecht zu erhalten und nicht – wie man uns gerne weismachen möchte - eine Vorstufe, um sie zu bekämpfen. Umso trauriger ist es, dass sich mittlerweile auch große Teile der Entwicklungspolitik vor den Karren der neuen „Stabilisierungseinsätze“ spannen lassen. Sowohl der Ende 2006 verabschiedete „Europäische Konsens über die Entwicklungspolitik“ als auch der OECD-Entwicklungshilfeausschuss haben mittlerweile beschlossen, die Unterstützung des „Stabilitätsexports“ sei eine der vorrangigsten Aufgaben der Entwicklungspolitik. Zwei Autoren des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) haben den herrschenden Konsens folgendermaßen treffend zusammengefasst: „‘Keine Entwicklung ohne Sicherheit’ wird immer mehr zu einem entwicklungspolitischen Paradigma, das neue Handlungsweisen in der Entwick­lungspolitik erforderlich macht.“ Hierdurch ist der Argumentationsteppich ausgebreitet, mit dem die Unterstützung militärischer „Stabilisierungsmaßnahmen“ als Armutsbekämpfung umdeklariert und so auch eine Querfinanzierung derartiger Maßnahmen legitimiert werden kann.

Kannst Du hierfür einige Beispiele nennen?

Der Dammbruch erfolgte auf den OECD-DAC-Treffen in den Jahren 2004 und 2005. Dort wurde beschlossen, erstmals auch sicherheitsrelevante Ausgaben ODA-anrechenbar zu machen. Darunter fallen mittlerweile etwa Ausgaben zur Sicherheitssektorreform, also die Finanzierung und Unterstützung des Aufbaus staatlicher Repressionsorgane in Ländern der Dritten Welt.

So wurde beispielsweise im Rahmen „sicherheitspolitischer Beratung“ in Armenien und Aserbaidschan die Erstellung neuer nationaler Sicherheitskonzepte mit jeweils 1 Mio. Euro aus dem deutschen BMZ-Haushalt unterstützt und als ODA abgerechnet. Da die Weißbücher unter anderem die Annäherung an die NATO befördern sollten, ist es kein Wunder, dass sich die durchführende Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) dabei eng mit dem NATO-Vertreter vor Ort abstimmte. Auch die Kosten für die Ausbildung der afghanischen Polizei stammen aus dem deutschen Entwicklungshaushalt (Einzelplan 23). Im EU-Rahmen wurden mittlerweile ebenfalls zahlreiche Maßnahmen zur Sicherheitssektorreform gestartet. Dabei wird u. a. bei der mit Entwicklungshilfegeldern finanzierten EU-Mission EUPOL RD Congo (vormals: EUPOL Kinshasa) der Aufbau paramilitärischer „Integrierter Polizeieinheiten“ überwacht und angeleitet, die wiederholt durch überaus brutales Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft auffielen und damit die Regierung Joseph Kabilas absichern, der sich gegenüber europäischen Wirtschaftsinteressen stets sehr aufgeschlossen gezeigt hat und deshalb von Brüssel unterstützt wird. Doch auf dem Wunschzettel des Militärs stehen noch ganz andere Dinge: Ex-NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer forderte sogar, die direkte Lieferung von Militärkom­ponenten ODA-anrechenbar zu machen - Rüstungsexport mit Ent­wicklungsknete sozusagen.

Darüber hinaus wurde bereits mit der direkten Finanzierung von Militärinterventionen aus Entwicklungshilfetöpfen begonnen. Seit 2004 existiert die mit Geldern des Europäischen Entwicklungsfonds finanzierte „African Peace Facility“ der EU. Sie bezahlt den Großteil der Militäreinsätze der Afrikanischen Union, bis etwa Ende 2007 320 Mio. Euro für den Einsatz im Sudan (AMIS). Für die Jahre 2008 bis 2010 sind erneut 300 Mio. Euro eingestellt. Bislang sind diese Gelder noch nicht ODA-anrechenbar, doch die EU-Kommission fordert genau dies immer wieder.

Die derzeitige Kerndebatte ist jedoch, ob künftig westliche Militäreinsätze – wir erinnern uns: „Ohne Sicherheit keine Entwicklung“ lautet die Devise – als ODA angerechnet werden können. Sollte dies geschehen, hätte dies eine sprunghafte Erhöhung der weltweiten Entwicklungshilfe zur Folge, Schätzungen zufolge für Deutschland wohl um etwa 25 Prozent, ohne dass damit auch nur ein Cent mehr in die Armutsbekämpfung investiert würde. Österreich hat nun genau dies für seinen Kostenanteil des EU-Einsatzes im Tschad (EUFOR Chad/RCA) beantragt. Eine endgültige Entscheidung steht diesbezüglich noch aus, es ist aber klar, dass zahlreiche Länder dem österreichischen Beispiel folgen dürften, sollte dies ermöglicht werden.

In Zeiten knapper Kassen tut sich hier für die Militaristen eine wunderbare Möglichkeit auf, Rüstungsausgaben querzufinanzieren. Geradezu entlarvend sind hier die Aussagen des CDU-Haushaltspolitikers Ole Schröder: „Missionen wie zum Beispiel in Nordafghanistan und im Kongo sind eindeutig Entwicklungshilfe.“ Durch eine Finanzierung solcher „humanitärer Missionen“ aus dem Entwicklungshilfe-Etat könne der Wehretat „in Millionenhöhe entlastet“ werden.

Ist es politisch nicht eher kontraproduktiv eine „Militarisierung der Entwicklungspolitik“ anzuprangern? Suggeriert eine solche These nicht eine vermeintlich gute Entwicklungshilfe, die jetzt militarisiert, also böse, wird?

Das ist eine wichtige Frage: Ich sage nicht, dass die Entwicklungshilfe unproblematisch ist, das ist sie sicher nicht und häufig verursacht sie - absichtlich oder unabsichtlich, lasse ich mal dahingestellt - eine Perpetuierung bestehender Ungleichheit. Aber ich finde in jedem Fall, dass es einen graduellen Unterschied zwischen einer Finanzierung fragwürdiger Projekte aus dem Entwicklungshaushalt und einer Bezuschussung von Militäreinsätzen gibt. Ebenso finde ich es absolut richtig, diese skandalöse Querfinanzierung scharf zu kritisieren und abzulehnen.

Allerdings darf man bei dieser Kritik auf keinen Fall stehen bleiben. Denn unbestreitbar hat die Entwicklungshilfe – wenn überhaupt - zu wenig zur Armutsbekämpfung beigetragen. Doch selbst wenn die Entwicklungshilfe gut gemeint und gut gemacht würde, sollte man sich keinerlei Illusionen über die Reichweite und Relevanz der diesbezüglichen Möglichkeiten hingeben: Im Vergleich zum Weltwirtschaftssystem hat Entwicklungshilfe nur marginalen Einfluss. Deshalb stellt sich die fundamentale Frage, ob angesichts der Tatsache, dass es schlicht unmöglich ist, die negativen Auswirkungen der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung vor Ort in größerem Maße abmildern zu können, nicht das Problem radikal an der Wurzel angepackt werden müsste und hierauf sämtliche Anstrengungen konzentriert werden sollten. Dies würde aber eine systemkritische Fokussierung der Entwicklungspolitik erfordern, die es sich zur Hauptaufgabe macht, den im Norden liegenden Armutsursachen durch eine Veränderung der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung entgegenzuarbeiten.

Hierzu sehe ich aber leider nur in wenigen Organisationen die Bereitschaft, würde es doch bedeuten, sich mit der herrschenden Politik ernsthaft anlegen zu müssen. Darüber hinaus sind die derzeit ablaufenden Querfinanzierungen nur die Spitze des Eisbergs. Denn Entwicklungshilfe, aber auch andere zivile Akteure, werden in den letzten Jahren über die zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) immer stärker für die Absicherung der neoliberalen Ausbeutungsverhältnisse herangezogen.

Wird durch diese zivil-militärische Kooperation offensichtlicher, dass Entwicklungshilfe ein verlängerter Arm deutscher Außenpolitik ist?

In jedem Fall zielen die Sicherheitspolitiker auf eine maximale Instrumentalisierung ziviler Akteure für ihre Interessenspolitik ab. Der Bedarf hierzu ergibt sich aus deren Sicht aus der Erkenntnis, dass künftig der dauerhaften „Stabilisierung“ (Kontrolle) eine ebenso große Bedeutung zukommt wie dem eigentlichen militärischen Sieg, wie u. a. die katastrophale Lage in Afghanistan und im Irak zeigt. Hierfür benötigt es aber Kapazitäten, die nur bei zivilen Akteuren, nicht im Militär vorhanden sind, weshalb unter dem Deckmantel der so genannten zivil-militärischen Zusammenarbeit Strukturen zur Effek­tivierung westlicher Besatzungsregime aufgebaut werden: „Staatliches Handeln bei der Sicherheitsvorsorge wird künftig eine noch engere Integration politischer, militärischer, ent­wicklungspolitischer wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung voraussetzen“ wie es das Bundeswehr-Weißbuch formuliert.

Im großen Stil wird dies erstmals beim NATO-Krieg in Afghanistan erprobt. Was man sich darunter vorzustellen hat, erläutert Daniel Fried, Ex-US-Staatssekretär für europäische und eurasische Angelegenheiten im amerikanischen Außenministerium: „Viele der neuen Kapazitäten werden gegenwärtig in Afghanistan getestet – dort lernen wir auch, wie zivile und militärische Anstrengungen besser integriert werden können. Mit jedem Monat lernen wir mehr darüber, was im 21. Jahrhundert für eine Aufstandsbekämpfung erforderlich ist – ein kombinierter zivil-militärischer Ansatz, bei dem Soldaten Seite an Seite mit Entwicklungshelfern, Diplomaten und Polizeitrainern agieren.“

Konkret funktioniert dies in Afghanistan über 26 „Regionale Wiederaufbauteams“ (PRTs), Einheiten, die sich sowohl aus Militärs als auch Zivilisten zusammensetzen. Dementsprechend umfasst ihr Auftrag nicht nur die Herstellung eines „sicheren Umfelds“, sondern auch Wiederaufbaumaßnahmen. Überspitzt formuliert können diese PRTs, von denen Deutschland zwei kommandiert, in einem Gebiet morgens Nahrungsmittel verteilen, mittags bombardieren und abends eine Schule aufbauen. Ein Beitrag im Small Wars Journal mit dem bezeichnenden Titel „Die Integration von Spezialeinheiten und USAID in Afghanistan“ beschreibt präzise, auf welche Weise die US-Entwicklungshilfeagentur dort einen direkten Beitrag zur Aufstandsbekämpfung leistet. Sie vergibt gezielt Gelder als „Belohnung für Gemeinden, die Aufständische hinausgeworfen haben“ und zur „Stärkung der örtlichen Bereitschaft und der Fähigkeiten, sich den Aufständischen zu widersetzen.“ Weiter gehe es für USAID darum, die „Aufständischen von der Bevölkerung zu isolieren“. Der Beitrag endet folgerichtig mit dem Fazit: „Die Entwicklungshilfeagenturen müssen die Samthandschuhe ausziehen.“ Auch deutsche zivile Akteure sind in diese Prozesse involviert. Caritas International hat das in einem Positionspapier deshalb scharf kritisiert, dass „die Ausschüttung der Hilfsgelder nicht an den tatsächlichen Hilfsbedarf gekoppelt ist, sondern sich vielmehr an der Aufstandsbekämpfung orientiert.“

Aufgrund des hiermit einhergehenden Verlustes der politischen Neutralität lehnt die überwiegende Mehrheit der Nichtregierungsorgani­sationen (NGOs) diese Zusammenarbeit mit dem Militär – bislang noch – kategorisch ab. Dennoch sind sie nicht mehr in der Lage, sich glaubhaft abzugrenzen, da das Militär – bewusst und erfolgreich – den Eindruck erweckt, Wiederaufbau und Militär seien untrennbar miteinander verwoben. Vor diesem Hintergrund werden alle zivilen Akteure in den Augen des afghanischen Widerstandes zu Kollaborateuren der Besatzer und damit zu legitimen Anschlagszielen. Die Folge ist, dass sich laut dem Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) die bewaffneten Angriffe auf NGO-Mitarbeiter im letzten Jahr verdoppelt haben. Das ANSO führt diese Entwicklung vor allem auf den Verlust der politischen Neutralität zurück und prognostiziert eine weitere Verschlechterung der Lage.

Welchen Einfluss haben diese Angriffe auf Mitarbeiter_innen ziviler Organisationen auf das Verhältnis dieser Organisationen zu zivil-militärischen Kooperationen?

Schon jetzt haben sich zahlreiche Organisationen explizit mit der Begründung, CIMIC verunmögliche ihnen den Verbleib, aus Afghanistan zurückgezogen, u.a. Ärzte ohne Grenzen und die Welthungerhilfe. In diesem Kontext veröffentlichte der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) in einem im Januar 2009 veröffentlichten Papier eine vernichtende Kritik an der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Er äußerte darin aber gleichzeitig auch die Befürchtung, dass die zivil-militärische Zusammenarbeit künftig von Afghanistan „auf andere Konflikt- beziehungsweise Post-Konfliktszenarien übertragen wird.“ Genau in diese Richtung gehen die Vorschläge der der Bundesregierung zuarbeitenden Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Studie mit dem bezeichnenden Titel „Aufstandsbekämpfung als Auftrag“. Dort plädiert die Denkfabrik für die Bildung einer strategischen Planungseinheit im Auswärtigen Amt: „Mit Hilfe dieser Planungseinheit ließe sich kontinuierlich eine gemeinsame zivil-militärische Strategie für alle laufenden Auslandseinsätze erarbeiten und realisieren.“ Und: „Es sollte generell erwogen werden, das Personal der mit Auslandseinsätzen befassten zivilen Ministerien für die Dauer der Einsätze in die Strukturen des Verteidigungsministeriums einzugliedern.“

Ich habe es bereits erwähnt und möchte es noch mal deutlich sagen: die meisten Nichtregierungsorganisationen lehnen CIMIC derzeit ab (bei zivilen staatlichen Akteuren stellt sich dies natürlich anders dar). Doch da staatliche Gelder einen großen Anteil an den Haushalten vieler NGOs ausmachen, steht zu befürchten, dass hierüber vermehrt Druck auf sie ausgeübt werden wird, auf den zivil-militärischen Zug aufzuspringen und die Kritik einzustellen.

Es geht dabei um Jobs und Existenzen, der hierdurch erzeugte Anpassungsdruck dürfte immens werden, ein Einknicken bislang noch überwiegend kritischer Positionen zur zivil-militärischen Zusammenarbeit steht somit zu befürchten. Sollte dies geschehen, würde die Entwicklungshilfe noch mehr zu einem integralen Bestandteil des westlichen Imperialismus werden als dies ohnehin bereits der Fall ist, eine Entwicklung, der mit aller Schärfe entgegengetreten werden muss.


Interview / info-Blatt / Jürgen Wagner

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