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Kommentar: Falscher Glaube und epische Verbrechen
Von John Pilger
Das sind außergewöhnliche Zeiten. Während die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich am Rande des Abgrunds der Zahlungsunfähigkeit stehen und in einen endlosen Kolonialkrieg verstrickt sind, wächst der Druck, sie für ihre Verbrechen vor ein Gericht wie das Nürnberger Tribunal zu stellen, in dem die Naziführer verurteilt worden sind.
Dieses definierte raubgierige Invasion als „das schwerste internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen dadurch unterscheidet, dass es in sich das gesamte Übel des Ganzen vereinigt.“ Das Internationale Recht wird zur reinen Farce, sagte der Chefankläger der Vereinigten Staaten von Amerika in Nürnberg, Richter des Obersten Gerichtshofs Robert Jackson, „wenn wir in Zukunft seine Grundsätze nicht auf uns selbst anwenden.“
Das geschieht jetzt. Spanien, Deutschland, Belgien, Frankreich und das Vereinigte Königreich haben seit langem die „universelle Rechtssprechung“ in ihren Grundgesetzen verankert, die ihren nationalen Gerichten erlaubt, offenkundige Kriegsverbrecher zu verfolgen und unter Anklage zu stellen. Geändert hat sich die unausgesprochene Regel, das Internationale Recht niemals gegen „uns selbst“ oder „unsere“ Verbündeten oder Kunden anzuwenden. Im Jahr 1998 stellte Spanien, unterstützt von Frankreich, Schweiz und Belgien den chilenischen Diktator Pinochet, Kunde und Handlanger des Westens unter Anklage und verlangte seine Auslieferung vom Vereinigten Königreich, wo er sich gerade befand. Wäre er an das Gericht ausgeliefert worden, hätte er mindestens einen britischen Premierminister und zwei Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in Verbrechen gegen die Menschlichkeit hineingezogen. Inenminister Jack Straw ließ ihn zurück nach Chile entkommen.
Der Fall Pinochet setzte den Startpunkt. Am 19. Januar verglich Jonathan Turley, Rechtsprofessor an der George Washington University, den Status von George W. Bush mit dem von Pinochet. „Außerhalb [der Vereinigten Staaten von Amerika] gibt es keine Unklarheit darüber, was ein Kriegsverbrechen ist,“ sagte er. „Wenn Sie ins Ausland reisen, werden Sie für die meisten Menschen dort nicht der ‚ehemalige Präsident George W. Bush’, sondern ein derzeitiger Kriegsverbrecher sein.“ Aus diesem Grund unternimmt Donald Rumsfeld, Bushs ehemaliger Verteidigungsminister, der 2001 die Besetzung Iraks gefordert und höchstpersönlich Foltertechniken in Irak und Guantanamo Bay gebilligt hat, keine Reisen mehr. Gegen Rumsfeld laufen in Deutschland zwei Verfahren wegen Kriegsverbrechen. Am 26. Jänner sagte Manfred Nowak, der UN-Sonderbotschafter in Sachen Folter: „Wir haben klare Beweise, dass Herr Rumsfeld wusste, was er tat, aber trotzdem Folter anordnete.“
Das spanische Höchstgericht führt zur Zeit eine Untersuchung gegen einen ehemaligen israelischen Verteidigungsminister und sechs weitere israelische Spitzenfunktionäre wegen ihrer Rolle bei der Tötung von Zivilisten, hauptsächlich Kindern, in Gaza. Henry Kissinger, der weitgehend für die Tötung von 600.000 kambodschanischen Bauern durch Bombardierungen in den Jahren von 1969 – 1973 verantwortlich ist, ist in Frankreich, Chile und Argentinien zur Einvernahme ausgeschrieben. Wie um zu demonstrieren, dass sich an den Machtverhältnissen in den Vereinigten Staaten von Amerika nichts geändert hat, sagte James Jones, Präsident Barack Obamas nationaler Sicherheitsberater am 8. Februar: „Ich bekomme meine täglichen Anweisungen von Dr. Kissinger.“
Wie sie könnte auch Tony Blair bald auf der Flucht sein. Der Internationale Strafgerichtshof, dem auch das Vereinigte Königreich als Signatarstaat angehört, hat eine Rekordzahl von Anträgen betreffend Blairs Kriege erhalten. Spaniens gefeierter Richter Baltasar Garzon, der die Anklage gegen Pinochet und die Führer der argentinischen Militärjunta betrieben hatte, hat die Strafverfolgung von George W. Bush, Tony Blair und dem früheren spanischen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar wegen der Besetzung des Irak – „eine der schmutzigsten und nicht zu rechtfertigenden Episoden der jüngeren Geschichte der Menschheit: ein verheerender Angriff gegen die Rechtsstaatlichkeit,“ der die UNO „in Fetzen“ übrig gelassen hat. Er sagte: „ 650.000 Tote sollten ausreichen, um die sofortige Untersuchung einzuleiten.“
Das heißt jetzt nicht, dass Blair demnächst geschnappt und nach Den Haag gebracht wird, wo Serben und sudanesische Diktatoren viel eher vor ein Politgericht gestellt werden, das der Westen betreibt. Jedenfalls formiert sich eine internationale Bewegung und es hat ein Prozess eingesetzt, in dem es um Rechtmäßigkeit und Gesetz geht, der an die Lehren der Geschichte erinnert, nach der die Mächtigen Kriege und Reiche verlieren, wenn ihre Legitimität verfliegt. Das kann schnell passieren, wie beim Fall der Berliner Mauer und beim Zusammenbruch des Apartheidsystems in Südafrika – wobei letzterer ein Schreckgespenst für das Apartheid-Israel ist.
Heutzutage ist die “gute Nachricht,” dass eine weltweite Bewegung die seinerzeit sakrosankte Auffassung in Frage stellt, dass imperiale Politiker zahllose Leben im Zuge altertümlicher Piraterie zerstören, oft in weit entfernten Kulturen, und ihre Ehrbarkeit und Immunität gegenüber der Justiz behalten können. In seinem Meisterwerk Dr. Jekyll und Mr. Hyde schreibt R.L. Stevenson über den Charakter von Jekyll: „Männer haben früher Meuchelmörder gedungen für ihre Verbrechen, während ihre eigene Person und Reputation in Sicherheit waren ... so konnte ich in der öffentlichen Meinung als genial und respektabel dastehen, und von einem Augenblick auf den anderen wie ein Schulbub diese Eigenschaften abstreifen und mich kopfüber in das Meer der Freiheit stürzen. Aber für mich in meinem undurchdringlichen Mantel war die Sicherheit vollständig.“
Auch Blair ist sicher – aber wie lange noch? Er und seine Kollaborateure sind mit einer neuen Zuschreibung seitens hartnäckiger Nicht-Regierungs-Organisationen konfrontiert, die „eine eindrucksvolle Dokumentation in Richtung Strafanzeige“ zusammenstellen, wie die Autorität für Internationales Recht Richard Falk meint, der auf das 2005 in Istanbul abgehaltene Welttribunal über den Irak hinweist, das 54 Zeugen angehört und rigorose Anklagen gegen Blair, Bush und andere veröffentlicht hat. Zur Zeit sind das Brüsseler Kriegsverbrechertribunal und die neu gegründete Blair War Crimes Foundation (Blair-Kriegsverbrecher-Stiftung) dabei, ein Strafverfahren gegen Blair nach den Nürnberger Prinzipien und der Genfer Konvention von 1949 in die Wege zu leiten. In einer separaten Anklage schrieb der ehemalige Richter am neuseeländischen Höchstgericht E.W. Thomas: „Ich ging ursprünglich von der Annahme aus, Herr Blair sei getäuscht worden, aber aufrichtig in seinem Glauben. Nach eingehender Lektüre und vielen Überlegungen kam ich allerdings zu dem Schluss, dass Herr Blair bewusst und wiederholt Kabinett, Labour-Partei und die Menschen in einer Reihe von Fragen in die Irre geführt hat. Es kann nicht aufrecht erhalten werden, dass er einfach getäuscht aber aufrichtig war, sozusagen ein Opfer seiner eigenen Selbsttäuschung. Seine Irreführung war überlegt.“
Geschützt durch den falschen Ruheposten eines Nahostbeauftragten des Quartetts (bestehend aus den Vereinigten Staaten von Amerika, der EU, der UNO und Russland) agiert Blair weitgehend von einer kleinen Festung im American Colony Hotel in Jerusalem aus, wo er die Vereinigten Staaten von Amerika im Nahen Osten und Israel verteidigt, ein schwieriges Unterfangen nach dem Blutbad in Gaza. Um seine Kassa zu füllen, bekam er neulich einen israelischen „Friedenspreis“ in Höhe von einer Million Dollars. Auch er passt auf, wohin er reist; und es ist lehrreich zu beobachten, wie er jetzt die Medien benutzt. Nachdem er seine Nach-Downing-Street-Verteidigung mehr oder weniger auf eine BBC-Serie von unterwürfigen Interviews mit David Aaronovitch eingeschränkt hatte, ist Blair aus der öffentlichen Sicht in Großbritannien verschwunden, wo Umfragen seit langem einen bemerkenswerten Abscheu für einen ehemaligen Premierminister gezeigt haben – ein Gefühl, das auch diejenigen in der liberalen Medienelite teilen, deren damalige Werbung für sein „Projekt“ und seine Verbrechen peinlich sind und vorzugsweise vergessen werden.
Am 8. Februar erklärte Andrew Rawnsley, der seinerzeit führende Blair-Fan beim Observer: „diese beschämende Periode wird nicht so ruhig und einfach begraben werden.“ Er wollte wissen: „Hat Blair nie gefragt, was da vor sich ging?“ Das ist eine ausgezeichnete Frage, nicht weniger bedeutsam mit einem einfachen Wörtertausch: „Haben die Andrew Rawnsleys nie gefragt, was da vor sich ging?“ 2001 machte Rawnsley seine Leser aufmerksam auf „Iraks Beitrag zum internationalen Terrorismus“ und Saddam Husseins „erschreckenden Appetit auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen.“ Beide Behauptungen waren falsch und gaben die offizielle anglo-amerikanische Propaganda wieder. Als 2003 mit der Zerstörung des Irak begonnen wurde, beschrieb Rawnsley das als eine „Prinzipienangelegenheit“ von Blair, der, wie er später schrieb, „vom Schicksal bestimmt war, recht zu haben.“ Er jammerte: „Ja, zu viele Menschen sind im Krieg gestorben. Immer sterben zu viele Menschen im Krieg. Krieg ist hässlich und brutal, aber zumindest war dieser Konflikt zum Glück kurz.“ In den folgenden sechs Jahren wurden mindestens eine Million Menschen getötet. Laut Rotem Kreuz ist der Irak jetzt ein Land der Witwen und Waisen. Ja, Krieg ist brutal, aber niemals für die Blairs und die Rawnsleys.
Weit von den nörgelnden Wendehälsen zuhause hat Blair neuerdings einen sicheren Medienhafen gefunden – in Australien, der originalen Murdochratie (Murdoch = australischer Medienzar, d.Ü.). Seine Interviewer verströmen ein Flair, das an die Förderer des „mystischen“ Blair im Guardian ein Jahrzehnt zuvor erinnert, wobei sie auch an Geoffrey Dawson denken lassen, den Herausgeber der Times in den 1930er Jahren, der über seine kriecherische Verehrung der Nazis schrieb: „Ich verbringe meine Nächte damit, alles herauszunehmen, was ihr Feingefühl verletzen könnte, und kleine Dinge einzustreuen, die sie besänftigen sollen.“
Mit der ehrenvollen Erwähnung seiner Worte werden die Finalisten für den Geoffrey Dawson-Preis für Journalismus (Antipoden) bekannt gegeben. In einem Interview mit der Australian Broadcasting Corporation am 8. Februar beschrieb Geraldine Doogue Blair als „einen Mann, der Religion in die Macht brachte und jetzt Macht in die Religion bringt.“ Sie fragte ihn: „Wie steht es mit der Auffassung, dass der Glaube die Welt zu größerer Stabilität führen würde ... ?“ Ein verwirrter und sichtlich erfreuter Blair durfte über „Werte“ schwadronieren. Doogue sagte zu ihm „es war die Entscheidung zwischen richtig und falsch, bei der die Briten sich meiner Meinung nach wirklich schwer taten,“ worauf Blair antwortete, dass „ich in Bezug auf Irak jede andere Möglichkeit [als die Invasion] versucht habe.“ Es war seine klassische Lüge, die unwidersprochen blieb.
Eindeutiger Gewinner des Geoffrey Dawson-Preises ist allerdings Ginny Dougary von Sydney Morning Herald und der Times. Dougary begleitete Blair neulich in seinem, wie sie schrieb „James Bond-mäßigen Gulfstream,“ wo sie eingeweiht wurde in seine „bionischen Energiestufen.“ Sie schrieb: „Ich stellte ihm die kindliche Frage: will er die Welt retten?“ Blair antwortete, ja, mehr oder weniger, schluck, ja. Der mörderische Überfall auf Gaza, der während des Interviews gerade im Gange war, wurde nebenbei erwähnt. „Das ist Krieg, fürchte ich,“ sagte Blair, „und Krieg ist schrecklich.“ Kein Wort davon, dass Gaza kein Krieg war, sondern ein Massaker nach allen gängigen Maßstäben. Was die Palästinenser betrifft, schrieb Dougary, ist es Blairs Ziel, sie „auf die Eigenstaatlichkeit vorzubereiten.“ Die Palästinenser werden überrascht sein, wenn sie das hören. Aber genug der ernsten Dinge; ihr Mann „hat den Glanz des neu Verliebten: er liebt die Welt, und größtenteils wird dieses Gefühl erwidert.“ Als Beweis für diese Absurdität führte sie an, dass „Frauen von beiden politischen Lagern mir eingestanden haben, dass sie auf ihn scharf sind.“
Das sind außergewöhnliche Zeiten. Blair, der das epische Verbrechen des 21. Jahrhunderts auf dem Gewissen hat, sitzt mit Präsident Obama, dem yes-we-can-Mann, der jetzt noch mehr Krieg führt, beim „Gebetsfrühstück“ zusammen. „Wir beten,“ sagte Blair, „dass wir in unserem Handeln Gottes Werk erfüllen und Gottes Willen befolgen.“ Für anständige Menschen sind solche Behauptungen über Blairs „Glauben“ eine Verdrehung von Moral und Verstand, die allen grundlegenden Lehren des Christentums widerspricht. Diejenigen, die ihn bei seinem großen Verbrechen unterstützt und gefördert haben und jetzt wünschen, der Rest von uns möge ihren Anteil vergessen – oder, wie Alistair Campbell, sein „Kommunikationsdirektor,“ ihre unrühmliche Bekanntheit für die Ersatzbefriedigung einiger nützen – mögen sich den ersten Anklagepunkt vor Augen führen, der von der Blair War Crimes Foundation vorgeschlagen wird: „Betrug und Verschwörung für den Krieg und Verbreitung falscher Nachrichten, um die Stimmung für den Krieg anzuheizen, mit der Folge von einer Million Getöteten, vier Millionen Flüchtlingen, ungezählten Verkrüppelten und Traumatisierten.“
Das sind wirklich außergewöhnliche Zeiten.
Mit freundlicher Genehmigung von www.antikrieg.com
Veröffentlicht: 8. April 2009
Auf Wiedersehen, liebe Leser!
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Es folgen traurige Zeilen – aber keine tragischen. Ich bedanke mich
herzlich, liebe Leser. Aber man geht nie so ganz.
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