Dienstag, 28. April 2009

Mexiko Stadt - Über das Horrorfeeling berichtet ein Korrespondent der Welt aus seiner Sicht:

http://www.welt.de/wissenschaft/article3640111/Mexiko-Stadt-Metropole-wie-aus-dem-Horrorfilm.html

Schweinegrippe

Mexiko-Stadt – Metropole wie aus dem Horrorfilm

(47)
28. April 2009, 14:17 Uhr

Eine 20-Millionen-Metropole steht still: leere Straßen, leere Restaurants. Noch eine Woche, und Mexiko-Stadt ist durch die Schweinegrippe pleite, sagen Experten. Der mexikanische Journalist Yaotzin Botello über eine Stadt in Angst – und die Verschwörungstheorien ihrer Einwohner.



Am Montag schien es, als sei Mexiko-Stadt in der Apokalypse angekommen. Drogenkrieg, Wirtschaftskrise, Schweinegrippe, all das war schon da, und nun bebte auch noch die Erde. Die Häuser zitterten, und der Strom fiel aus, die Leute rannten auf die Straße, mit ihren Atemmasken vor dem Gesicht.

Das Beben trieb sie genau dorthin, wo sie in den vergangenen Tagen auf keinen Fall sein wollten. Draußen, auf den Straßen der Riesenstadt. Nach dem Beben kehrten sie in ihre Wohnungen zurück, wenn das ging, verschanzten sich wieder, panisch vor Angst vor der Krankheit.

Mexiko-Stadt ist eine Metropole mit fast zwanzig Millionen Einwohnern, die sonst 24 Stunden am Tag wach ist. Wach und übervoll von Leben. Das Leben findet jetzt in geschlossenen Räumen statt. Räume, die die Leute jetzt Bunker nennen.

Am Wochenende waren einige noch in Restaurants zum Essen gegangen. Sie hatten sich dafür angezogen wie Chirurgen vor einer Operation. Mit Latexhandschuhen, Mundschutz und sogar Mützen. Sie wollten versuchen, ihr Essen so hygienisch wie möglich zu sich zu nehmen. Am Montag betrat dann fast niemand mehr ein Restaurant, nicht mal als Chirurg verkleidet. Um 70 Prozent sind die Einnahmen der Gastronomen gefallen. Noch eine Woche, und die ganze Stadt ist pleite, sagen Wirtschaftsexperten.

Normalerweise esse er mittags in einem Lokal in der Nähe seines Büros, sagt Virgilio Ruán, ein Versicherungsmakler. So wie es fast alle Mexikaner aus der Mittelschicht machen. Jetzt fährt Ruán mittags nach Hause und macht sich einen Salat. "Es gibt ja kaum Verkehr, ich brauche nicht mehr eine Stunde und zwanzig Minuten bis nach Hause – höchstens noch zwanzig Minuten", sagt er. Es ist gerade Mittagszeit, er ist in seiner Wohnung, einer hygienisch unbedenklichen Zone. Er habe ja jetzt Zeit, und wolle unbedingt etwas Gesundes essen.

Wer zu Hause nichts zu essen hat und keine Kantine im Büro, bestellt etwas. Die Boten, die das Essen liefern, kommen von draußen und sind eigentlich die perfekten Überträger des gefährlichen Virus. Was soll man machen, sagen die Mexikaner, essen muss der Mensch. Und sich die Hände waschen. Das ist jetzt die Regel Nummer 1. Immerzu die Hände waschen. Gründlich. Sobald man eine fremde Person auch nur aus der Nähe gesehen hat. Die Hände waschen, das hilft zumindest gegen die Angst.

Zur Arbeit gehen, das müssen die meisten Mexikaner auch noch. In einem Land, in dem einem Angestellten per Gesetz nur sechs Tage Urlaub im Jahr zustehen, kann man nicht einfach mal zu Hause bleiben.

Bloß, weil gerade eine Todesgrippe umgeht. Nur wenige Menschen können auch von zu Hause, per Internet, arbeiten. Für die meisten gilt immer noch Anwesenheitspflicht im Büro. Sie hoffen darauf, dass diese Pflicht aufgehoben wird, dass sie vielleicht sogar angewiesen werden, zu Hause zu bleiben.

In der Zwischenzeit gibt es Vorsichtsmaßnahmen. Einige klingen ziemlich hierarchisch. "Wir haben die Anweisung, unsere Chefs nur mit Mundschutz anzusprechen. Sonst müssen wir den Schutz im Büro nicht tragen", sagt Renata González, eine Grafikdesignerin. Viele Kollegen würden den Mundschutz aber ständig tragen. Das sei anstrengend, Mund und Nase beginnen schnell zu schwitzen unter der Hülle.

Fußballspiele und Messen sind abgesagt und finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Schulen und Kindergärten im ganzen Land sind geschlossen. Es sind wohl im Moment die Mütter, die am meisten leiden. Wenn sie arbeiten, müssen sie ihre Kinder mit ins Büro oder freie Tage nehmen. Wenn sie nicht arbeiten, müssen sie die Kinder den ganzen Tag in der Wohnung beschäftigen und beruhigen. Parks, Spielplätze, jeder Ausflug ins Freie ist tabu.

Manche Leute sagen, dass Mexiko-Stadt, ihre Stadt, ihnen in diesen Tagen vorkommt wie ein Ort aus einem Horrorfilm.

Andere geben sich abgeklärter, sagen, man sehe auch Leute ohne Mundschutz, so verändert sei die Stadt gar nicht. "Ach, ich sehe eigentlich nicht so viele Leute mit Schutz, höchstens ein Drittel der Leute benutzt die", sagt Alejandra Xanic, Redakteurin bei einem Wirtschaftsmagazin. Sie sagt, vor allem "einfache Arbeiter" würden sich ordentlich schützen, Sekretärinnen, Bauarbeiter, Handwerker. Leute, die in öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen. In Mexiko-Stadt gilt das schon immer als Zeichen eines niedrigen sozialen Status. Nur Arme Leute fahren U-Bahn. "Die Leute aus der Mittelschicht, die Auto fahren, tragen den Mundschutz nicht", sagt Alejandra. Vielleicht denken sie, dass auch nur Arme die Grippe bekommen.

Für Bankangestellte gibt es seit der Mundschutz-Regel übrigens noch ein weiteres Problem. Woran erkennt man, wer ein Kunde mit Grippeangst ist, und wer ein vermummter Bankräuber? In Mexiko-Stadt gehören bewaffnete Raubüberfälle auf Banken zum Alltag, keine Woche vergeht ohne Bankraub. Wie schützt man eine Bank in Zeiten der allgemeinen Vermummung?

Eine andere Frage ist, was die Grippe zu bedeuten hat. Wer viel zu Hause sitzt, hat Zeit, sich den Kopf zu zerbrechen. In Mexiko grassieren mit der Grippe die Verschwörungstheorien.

"Das Ganze ist eine Strategie der Regierung, damit wir den Drogenkrieg vergessen", sagt Luis Pablo, ein Beamter aus dem Bundesministerium für Gesundheit in der Stadt.

"Das ist ein Riesengeschäft für die Pharmaindustrie, die werden gerade richtig reich", sagt Renata Gonzalez, die Grafikdesignerin.

"Es ist ein Riesengeschäft für die Firmen, die die Atemmasken herstellen, gemeinsam mit den Apotheken, da bilden sich gerade Monopole", sagt Jose Antonio, ein Psychologe. Atemmasken werden in der smoggeplagten Stadt ohnehin gern gekauft.

"Mexiko hat früher in großem Umfang Impfstoffe hergestellt und seine Vormachtstellung auf diesem Markt verloren, man brauchte etwas wie diese Grippe, um den Markt wiederzugewinnen", sagt ein Experte im mexikanischen Fernsehen.

Das Misstrauen der Mexikaner in ihre Regierung und die Pharmaindustrie ist so groß, dass es Leute gibt, die sagen, sie würden sich Pflichtimpfungen entziehen. Wer weiß, vielleicht will nur jemand Medikamente an ihnen testen.

Keine Kommentare: