Dienstag, 11. August 2009

ad sinistram: De auditu

ad sinistram: De auditu


Anonym 11. August 2009 19:13

Victor Klemperer merkte einmal sehr richtig an:

"Sprache kann aus giftigen Elementen gebildet oder zu Trägern von Giftstoffen gemacht werden. Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da."


De auditu

Dienstag, 11. August 2009

Jörg Tauss, ehemaliger Sozialdemokrat und Piratenfrischling, ist ein Kinderporno. Zumindest steht er unter Verdacht, ein Kinderporno zu sein. Kinderporno-Verdacht! Egal ob niedergeschrieben oder den Zusehern und -hörern verlesen, eingeleitet und aufgemacht wird im verknappten Stile, jegliches Verb entbehrend: Tauss unter Kinderporno-Verdacht! Was hierzulande Springer-Unkultur war, die Bindestrich-Komposition, ist zum journalistischen Usus verkommen. Tauss steht nicht unter Verdacht, Kinderpornos besessen, angesehen oder verkauft zu haben - er ist zum Kinderporno geworden. Er ist seine Tat - (lassen wir hier mal beiseite wieviel Wahrheit oder Lüge an der Unterstellung ist) -, er ist, was man ihm unterstellt.

Wir leben in Zeiten, in denen schnelle Lösungen, schnelle Informationen, schnelle Konzepte gefordert sind. Auch die Sprache ist davor nicht bewahrt, sie wird pragmatisch verstümmelt, unnötige Verben werden geschluckt und unnötig sind fast alle Verben. Der Bindestrich wird zum eilfertigen Botschafter, egal ob gedruckt und geschrieben oder beim Sprechen unausgesprochen: ohne Bindestrich keine Nachricht. So steht heute kein Täter unter Verdacht, ein Frau genötigt, vergewaltigt oder belästigt zu haben, er steht vielmehr unter Sexmonster-Verdacht. Ministerinnen haben Dienstwagen-Affären, anstatt verdächtigt zu werden, den Dienstwagen zweckentfremdet zu haben. Die verstümmelte Sprache, in der keiner mehr tut, in der der Bindestrich die Gewalt an sich reißt, beseitigt jeden Zweifel: der Delinquent, der Verdächtigte ist zu seiner Tat, besser zu seiner Untat verwandelt.

Erhabene Sprache, wohlklingende Worte, der Wettbewerb mit Sätzen und geschliffenen Ausdrücken zu glänzen, die Eitelkeit Aussagen liebevoll zu gewanden - alles Spielereien aus vergangenen Tagen. Sprache hat heute funktionell zu sein, muß ohne falsche Ablenkung informieren, soll nicht unnötig aufhalten. Die Syntax verkommt zum toten Gegenstand im Grammatikbuch, ist ihres Daseins enthoben. In einem Kurzsatz, der keine Verben mehr kennt, in dem nicht mehr getan und gemacht werden kann, in der das Tunwort also, um es mal grundschulisch zu benennen, ausgeschlossen ist, da kann der Beschuldigte, der Empfänger des Vorwurfs nicht mehr handeln, er kann nur noch handlungsunfähig sein. Er kann nur noch der Vorwurf selbst sein, zur Untat in Person verkommen. Die fehlende Syntax enthebt den Beschuldigten seiner Handlungsfreiheit, entmenschlicht ihn, macht ihn zum steinernen Symbol seiner möglichen Verfehlung, damit zur Verfehlung selbst.

Der Protagonist der medialen Berichterstattung verkümmert jammervoll zum handlungsunfähigen Konstrukt. Der Aufmacher erlaubt keine Ausführlichkeiten, der Konsument muß im Laufe einer Zehntelsekunde informiert sein, darf nicht zum Nachdenken kommen, muß sofort die Richtung des Berichtenswerten kennen. Natürlich wird später ausgeführt, was der Beschuldigte getan hat, darf das Verb zur Geltung kommen. Aber zu jenem Zeitpunkt hat der Großteil der Konsumenten schon umgeblättert oder umgeschaltet. Die kurze Bindestrich-Komposition polarisiert und entscheidet über Sympathie oder Ablehnung. Was hernach kommt ist Beiwerk, denn es steht dann bereits fest, dass der Beschriebene ein Kinderporno oder dergleichen ist.

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